Sagen

Der Sagenwanderweg mit Start an der Bergstation der Seilbahn

Mit beklemmender Eindringlichkeit schildert die Sage den Einbruch des Dämonischen in das Leben des Menschen, das Übernatürliche wird hier - im Gegensatz zum Märchen - als etwas Schreckhaftes erlebt. Damit umfasst die Sage das breite Spektrum der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner eigenen und der ihn umgebenden Natur, mit der historischen Realität und der transzendenten Welt.

Die Bleistiftbilder wurden von Volkmar Dieth (Bregenz) gezeichnet.


Das Nachtvolk in der Holzwies (Schnifis)

das Nachtvolk (Groß).jpgDas Nachtvolk Einmal hat ein Schnifner Bub mit seiner kleinen Schwester in der Holzwies unten das Vieh gehütet. Die Sonne war schon hinter den Schweizer Bergen untergegangen, und ein kühler Herbstnebel kroch durch das Nachtried herein.
Da hörten die Kinder eine gar seltsame Musik: einmal hoch in den Lüften und dann wieder am Boden, einmal ganz nah und dann wieder weit fort. Zuerst hörten sie eine Weile zu, dann aber lockte sie ein Klappern und Lärmen und Pfeifen immer tiefer in den dunklen Wald hinein, bis sie zu einer abgeholzten Lichtung kamen. Da sahen sie mit Schrecken, wie ein ganzer Haufen verkümmerter Gestalten und zaundürrer Schrättlinge (Unholde) um ein Feuer tanzten und wie besessen auf krummen Kuhhörnern bliesen. Jetzt ist den Kindern der "Wunder" (Neugierde) vergangen! So schnell sie konnten, rannten sie davon, gradaus durch das Gehölz hinunter. Dabei stolperte der Bub über einen Tannenast und verletzte sich damit am Fuss.
Am Abend suchte man im Dorf überall nach den beiden Kindern. Auch daheim wartete man voller Sorge, bis endlich der Bub mit seinem Schwesterchen unter der Haustür stand.
Man verband ihm gleich den verletzten Fuss, aber seine Schmerzen wurden immer schlimmer. In der Not holte man einen Geistlichen, der das Büblein "benedizieren" (aussegnen) sollte. Aber dieser meinte nur: "Da ist noch etwas anderes im Spiel", und schüttelte den Kopf. Und wirklich! Der Segen hat auch nicht mehr geholfen, und bald darauf ist das Büblein gestorben.
Nur seine jüngere Schwester hat noch lange gelebt und in ihren alten Tagen oft vom "fürchterlichen Nachtvolk" erzählt. (nach Robert Amann)


Die Goppakatz (Schnifis)

Im Goppawald zwischen Schnifis und Thüringerberg stand seit Menschengedenken ein Bildstock am Wegrand. Als man aber anno 1903 die neue Walserstrasse baute, verfiel das Bildle langsam, und heutzutage findet man nur noch ein paar Steinbrocken an dieser Stelle. - Von einer Katz aber, die dort ihr Unwesen getrieben hat, weiss man heute noch zu erzählen.
Ein Schnifner Fuhrmann fuhr einmal spät in der Nacht durch's Walsertal heraus. Und weil er auf seinem langen Weg auch nicht an allen Wirtshäusern vorbeikam ohne einzukehren, ging es schon Mitternacht zu, als er mit seinem Gefährt den Goppawald erreichte. Stockdunkel war es, nur das Laternenlicht flackerte unruhig am Leiterwagen. Schlag zwölf kam das Fuhrwerk zum Bildstock. Da sprang eine riesige schwarze Katz hinter dem Gemäuer hervor und stellte sich auf den Hinterbeinen grossmächtig vor das Ross hin. Den Burst (Rückenhaar) stellte sie auf wie ein böser Hund, und mit ihren feurigen Augen starrte sie den Rössler an, dass es ihm kalt über den Buckel hinunterlief. Sofort blieben Ross und Wagen stehen! Der erschrockene Mann schnellte mit der Geissel und das arme Tier schlug nach allen Seiten aus. Die Räder drehten sich so schnell, dass unter dem Wagen die Funken flogen. Aber das Gefährt kam nicht von der Stelle - keinen Zentimeter. Da half nichts, kein Fluchen und kein Beten ! Erst als es eins schlug, verkroch sich die unheimliche Katz im Gebüsch. Und jetzt konnte das Fuhrwerk wieder weiterfahren.
Nur der alte Schlosser wusste sich zu helfen. "Mir ist es akkurat so ergangen", erzählte er, "als ich einmal um Mitternacht zum Goppabildle gekommen bin. Da bin ich aber vom Wagenbrett heruntergesprungen und hab' unter dem Ross ein Feuer gemacht. Da hat mein Kawalle (Gaul) einen Satz genommen und ist mitsamt dem Wagen über den verdammten Rolle (Kater) drüber und auf und davon. - Bei Gott, das ist nicht gelogen, so wahr ich da stehe!" schwor er Stein und Bein - und hockte dabei mit einem Krügle Most in der Hand vor seiner Werkstatt. (nach Robert Amann)


s´Hansjocka Maiggi

S

Die Ave-Glocke läutete in Thüringen gerade zum Feierabend, als im Bongert (Baumgarten) vor einem Haus, wo heute die Bäckerei Winkler steht, ein paar Kinder miteinander spielten und sich ein letztes Mal hinter den Bäumen versteckten. "Gugus!" neckten sie das Mädchen, das nach ihnen suchen musste, und rannten dann flink zum hohlen Baum, der mitten in der Wiese stand, zurück.
Auf einmal war die kleine Amrei - s'Hansjocka Maiggi - wie vom Erdboden verschluckt. Die Kinder suchten nun das Mädchen hinter jedem Baum und Strauch und in jedem dunklen Hauswinkel. Aber alle Mühe war vergebens, und die Nacht brach herein.

Bald war das ganze Dorf auf den Beinen, und überall hörte man nach der Amrei rufen. Die Stunden vergingen, aber das arme Kind blieb verschollen. Amreis Vater eilte in seiner Not zum Pfarrer und bat ihn um Hilfe und Beistand. Der geistliche Herr, der im Ruf besonderer Frömmigkeit stand, schüttelte jedoch nur den Kopf und sagte: "Da bin ich machtlos. Hier hilft nur mehr eines: Wir müssen alle miteinander ununterbrochen beten, dann muss dass Böse nachgeben!" So versammelten sich die Leute in den Häusern und lösten einander im Gebet ab.

Und tatsächlich geschah das Wunder! - Am Abend des dritten Tages stand die Amrei wortlos unter der Tür des Elternhauses. Auf die Frage, wo sie denn in Gottes Namen in den letzten drei Tagen gewesen sei, sagte sie mit leiser Stimme: "I wäss net, wo i gsi bi. - Amol bin i über a grossas Wasser, und albe hann i a Musig ghört....." (Ich weiss nicht, wo ich gewesen bin. Einmal bin ich über ein grosses Wasser und immer habe ich eine Musik gehört)

Aus Freude und Dankbarkeit über die glückliche Heimkehr des Kindes versprach Amreis Vater eine Wallfahrt nach Maria Einsiedeln und pilgerte mit dem Mädchen zu Fuss durch das Rheintal zum bekannten Wallfahrtsort in der Schweiz. Auf dem Weg dorthin geschah jedoch etwas Seltsames: Plötzlich stand irgendwo im Unterland eine alte Frau vor ihrer verlotterten Hütte und schrie den beiden Pilgern wütend zu: "He! Gond ihr ge wallfahrta! Wenn ihr denn z'Thüringa net soviel betat heetan, heetan ihr s'Maiggi nia meh gsecha!" (He! Geht ihr wallfahrten! Wenn ihr in Thüringen nicht so viel gebetet hättet, hättet ihr das Mädchen nie mehr gesehen!)
Diese Geschichte stammt von Eduard Winkler aus Thüringen, der in seiner Jugendzeit oft im Nachbarhaus beim damals schon betagten Hansjocka Maiggi auf Besuch war und von dieser Frau selbst jenes seltsame Erlebnis aus ihrer Kindheit gehört hatte. Später gab er diese Erzählung an seine Nichten weiter und habe dabei immer betont: "Das ist kein dummes Geschwätz, das ist pure Tatsach´!" (nach Robert Amann)


Der Vernellaschimmel

dr Vernellaschimmel (Groß).jpgdr Vernellaschimmel Einst kam es zwischen den Bludeschern und den Schlinsern wegen der Waldgrenze im Vernella (Waldgebiet in Schnifis) unten zu einem bösen Streit. Die Bludescher behaupteten, der Grenzstein stehe nicht mehr am rechten Ort, aber die Schlinser beharrten auf ihrem vermeintlichen Recht und sagten: "Der Stein bleibt, wo er steht und immer gestanden ist!"
Schliesslich und endlich ging man vor das Jagdberger Gericht. Der dortige Richter aber - die einen glaubten, es sei der Graf selber gewesen - liess sich von ein paar Mannsbildern, die auch nicht viel besser waren, bestechen. So war der Handel bald vorbei, ein falsches Urteil wurde gefällt, und die betrogene Gemeinde konnte durch die Finger schauen. Ob es die Bludescher oder die Schlinser waren, weiss heut niemand mehr.
Dafür fand der bestechliche Richter vom Jagdberg keine Ruhe mehr, als er in der Ewigkeit seinen eigenen Richter fand! Von dieser Stunde an musste die arme Richterseele im Vernellawald unten, auf einem Schimmel reitend, den unrechten Stein suchen. In hellen Mondnächten haben auch manche Schnifner den Geisterreiter gesehen, wie er in seinem roten Richtermantel und einer Schriftrolle mit dem falschen Urteil in der Hand an der falschen Grenze hin- und hergaloppiert ist. Gefüchtet hat's dabei noch jedem, wenn er zu später Stunde dem unheimlichen Reiter begegnet ist. Und wenn dann wieder einer totenblass ins Sägaloch (Ortsteil von Schnifis) heraufgekeucht war, konnte man am andern Tag im Dorf tuscheln hören: "Er ist wieder da, der Vernellaschimmel!"
Der Schnifner Kapuzinerpater Laurentius, der berühmte "Sänger von Schnifis" berichtet ebenfalls von einem unseligen Mann, der einen Markstein versetzt hatte und deshalb keine Ruhe finden konnte. In seinem Büchlein "Die Maul-Trummel" kann man auf Seite 123 lesen: "Ein solcher Marckenrucker ist um das Jahr 1644, da ich zu Hause ware, feurig und erkännlich von einem frommen Knaben gesehen worden, weilen der armselige Mann einen Marckhstein verruckht hatte!"


Die Holzer im Alten Bild

josef.JPGHl. JosefDSCN2787 (Groß).JPGDie Kapelle Altes Bild

Auf dem Weg zur Alpe Gampelin kommt man zum Alten Bild. Das ist eine kleine Kapelle mit einem Votivbild aus dem Jahr 1704. An dieser Stelle soll schon in früheren Tagen ein Bildstock mit einer grossen Mauernische und einer holzgeschnitzten Josef-Statue gestanden sein. - Und davon konnte der Ähne noch eine Geschichte erzählen:

An einem schwülen Sommertag waren zwei Schnifner auf dem Schätaboda (Waldstück über dem Alten Bild) in ihre Holzarbeit so vertieft, dass sie gar nicht merkten, wie sich über dem Gerach dunkle Wetterwolken zusammenzogen. Die beiden Holzer wollten gerade den letzten Schluck aus dem Mostschlegel nehmen, fielen die ersten, schweren Regentropfen, und das Donnerwetter ging los. Da liessen die beiden alles stehen und rannten, so schnell sie konnten, zum alten Bild hinunter. Patschnass standen sie eine Weile vor dem Bildstock mit der prächtigen Nische und schielten hinterlistig zum nusstrockenen Heiligen hinein. "Där isch eigentle scho lang gnua im Trockna gschtanda"(der ist eigentlich schon lange genug im Trockenen gestanden), sagte auf einmal der eine zum anderen. Sie packten den Heiligen Josef, stellten ihn ins Wetter hinaus und zwängten sich selbst in den geweihten Winkel hinein.

Als dann das Wetter vorbei war, und die zwei armen Sünder aus ihrem engen Unterschlupf herauswollten, konnten sie sich nicht mehr vom Fleck rühren. Gebannt kauerten sie nun armselig im geweihten Winkel und beteten in ihrer Not zum Hl. Josef, den sie in den Regen hinausgestellt hatten, um baldige Erlösung. Ihr Gebet wurde lange nicht erhört. Erst als die Leute vom Dorf herauf einen frommen Kapuziner brachten, der den Bann lösen konnte, waren die beiden Holzer wieder frei. Schnell stellten sie die Figur an ihren angestammten Platz, und dabei sahen sie gerade, wie dem nassen Heiligen die letzten Wassertropfen wie Tränen über seine Wangen liefen. Ob er dabei gelächelt habe, konnten die zwei Schnifner beim besten Willen nicht mehr sagen.